Hold your breath and count to four

Erschrocken hörte ich auf als Joanne sich in den Finger schnitt. Fuck! Das ist meine Schuld. Aber Joanne schnitt einfach weiter, als hätte sie nichts bemerkt. Glaubte sie wenn sie es überspielen würde, würde es mir nicht auffallen? Ich griff nach ihren Handgelenken und hielt sie auf, sagte ihr energisch das sie damit aufhören sollte. Als sie mich verwundert anschaute, wusste ich das sie es anscheinend tatsächlich nicht mitgekriegt hatte.
Ich griff in eine der Schubladen und holte eines der großen Pflaster und etwas Wunddesinfektionsmittel heraus. Während ich ihren Schnitt versorgte schaute ich sie besorgt an. "Hast du das nicht gemerkt? Spürst du das?" Als das Pflaster auf der Wunde war, betastete ich vorsichtig den Rest ihres Fingers. Sie schüttelte den Kopf. Wie sich herausstellte hatte sie im gesamten rechten Ringfinger kein Gefühl. "Wir müssen dringend zu einem Arzt, Annie."

Warum spürte ich nichts? Wie ein kleines hilfsloses Kind ließ ich mich von ihm verarzten, antwortete brav auf seine "Spürst du das?" Fragen. Ich spürte nichts. Nicht im geringsten. Und das war es, was mir... Angst machte. Mehr noch als die Tatsache dass er zur Hälfte Dämon und ich zur Hälfte ein Gargoyle war. Ein Steinwesen. What the fuck? "Goooosh", gab ich von mir, entzog ihm meine Hand und spielte selbst noch ein wenig an meinem Finger herum. Er war komplett taub. Bewegen konnte ich ihn noch, allerdings nur mit großer Mühe, schließlich merkte ich ja nichts. "Jetzt ist es doch eh schon zu spät", sagte ich und winkte ab. Reiner Selbstschutz, weil ich nicht panisch werden wollte... ich ahnte, was in den nächsten Sekunden kommen würde, doch Jason hatte keine Ahnung...

Ich merkte wie Joanne immer hektischer wurde. Sie versuchte es zu verstecken, aber ihre Bewegungen waren zu schnell und sie strich sich nervös die Haare hinters Ohr. Seitdem Joanne mir von ihren Panikattacken erzählt hatte hielt ich nach diesen kleinen Anzeichen ausschau. Beim ersten Mal war es mir kaum aufgefallen, aber beim letzten mal hatten wir etwas ausprobiert, damit sie ihre Tabletten nicht nehmen musste.
Ich reagierte sofort, ging zu ihr legte meine Arme um sie und drückte ihren Kopf an meine Brust. "Schhh, Annie. Ganz ruhig, alles wird gut. Konzentriere die auf mich." Ich versuchte die ruhe auszustrahlen die ich mir für sie wünschte, konzentrierte mich auf etwas schönes. Im Moment war ich gerade beim gemeinsamen Kochen, dachte an schöne Zeiten, an Joannes Lächeln an einem Sommertag. Ich spürte regelrecht wie ich innerlich immer ruhiger wurde.
"Konzentriere dich auf meine Atmung, höre auf unseren Herzschlag." flüsterte ich ihr zu. Klar war es irgendwie ziemlich Klischeehaft, aber beim letzten Mal hat es geholfen und wer weiß? Vielleicht kriegte sie das ganze irgendwann mit meiner Hilfe selbst unter Kontrolle.
So standen wir da, während ich hoffte das schlimmst verhindert zu haben

Wir haben es bereits einmal versucht. Einmal konnte Jason mich einfach so in den Arm nehmen und mich mit Hilfe seiner ruhigen Ausstrahlung wieder etwas auf den Teppich holen. Das war vor ein paar Wochen.
Heute aber ist es anders. Heute sitzt mir mehr Stress im Nacken als das letzte Mal. All das was wir heute raus gefunden haben, war nicht grade wenig. "Lass mich los", maulte ich an seiner Brust, versuchte mich gegen ihn zu wehren aber seine Umarmung war viel zu stark als dass ich mich hätte in dieser Panik ohne weiteres wehren können. Es brachte nichts, das wusste ich, dennoch war mein Körper und auch sonst alles andere auf Flucht eingestellt. Ich war nicht mehr Herr meines eigenen Körpers, bekam nicht mehr mit was ich überhaupt von mir gab. "Ich brauch dich und deine Hilfe nicht, ich brauch meine scheiß Tabletten, gib mir den Scheiß, ich komm sonst nicht klar man!", pflaumte ich ihn an. "Höre auf meinen Herzschlag", hörte ich ihn sagen, doch nein, ich fand keine Konzentration. "Mam und Dad wurden hier zur Strecke gebracht, Dämonin und Gargoyle. Schatz", es war das erste Mal überhaupt, dass ich ihn bei diesem Kosenamen nannte, war er doch sonst Jason oder mein Bruderherz, "wer versichert uns, dass sie nicht wiederkommen um selbiges mit uns zu tun? In unseren Adern fließt böses Blut, Jason, sie sind hinter uns her!", ich schrie die Worte fast, in einem Tempo, als würde ich einen Rapwettbewerb gewinnen wollen. "Wir müssen hier weg."

Es brachte nichts. Sie wehrte sich, schrie mich an ich solle sie los lassen, redete immer schneller. Ihre Attacke war im vollem Gange und mir gingen die Ideen aus, was ich dagegen tun konnte. Ich packte sie bei den Schultern und schüttelte sie leicht. "Liebling du musst dich jetzt beruhigen." Nichts. Sie war immer noch genauso panisch wie vorher.
Ich hatte nur noch eine einzige Idee, die ich einmal bei einem in Panik verfallenen Soldaten bei der Army angewendet hatte. Es war ein schlechter Tag gewesen und der Junge hatte Angst gehabt zu sterben, was keine gute Einstellung war.
Ich hielt sie immer noch mit der linken Hand an der Schulter fest und holte mit meiner schwächeren rechten nur ein wenig aus. Mein "Tut mir leid" bekam sie vermutlich nicht einmal mit bevor sie die Backpfeife traf. Es zeigte Wirkung. Sie wehrte sich nicht mehr und verstummte. Stattdessen schaute sie mich ungläubig an. "Tut mir leid." wiederholte ich.

Ich bekam den Schlag selbst nicht einmal richtig mit, den Schrecken darüber jedoch umso mehr. "Hast du...", begann ich, schüttelte dann aber den Kopf und atmete tief durch, den Blick auf die weißen Küchenfliesen gerichtet. Das war nun schon die dritte Panikattacke in kürzester Zeit. "Entschuldige", gab ich atemlos von mir, "Entschuldige dass ich so schwach bin", ich kannte die Reden seiner Vorgesetzten vom Militär... Ich war eine Last. Und schon begann ich zu weinen. Leise, doch ich weinte. Hin und her gerissen zwischen Jasons Nähe, die einzige die mir nach all der Zeit noch blieb (dafür aber gleich doppelt so stark) und der Einsamkeit, die Schlaftableten und damit Ruhe versprach... "FUCK!", fluchte ich und wusste nichts mit mir anzufangen. "Es tut mir so Leid"

sie war wieder etwas klarer und fing an sich zu entschuldigen. Ich drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. "Ist schon in Ordnung. Du bist nicht schwach." Ich ging zum Herd machte alle Platten aus (und vergewisserte mich wie immer zweimal ob sie auch wirklich aus waren) und redete dann weiter. "Lass uns schlafen gehen. Willst du heute bei mir schlafen?" Wir schliefen in letzter Zeit sowieso immer häufiger in einem Bett, aber erst als ich eine ihrer Attacken selbst miterlebt hatte wurde mir klar, das sie früher immer nach einer solchen zu mir kam um bei mir zu schlafen. Es war also mehr eine Floskel als eine wirkliche Frage.
Ich hielt ihr meine Hand hin und musste lächeln als mir etwas klar wurde. "Du hast mich Schatz genannt!"